Die Laubnitzer Kirchenglocken

Der Laubnitzer Pfarrer Kurt Wilke berichtet in seiner "Chronik der Parochie Laubnitz" aus dem Jahr 1912: "1884 erhielt die Gemeinde ein wertvolles Geschenk, indem der Amtsvorsteher Louis Lehmann die drei alten Glocken auf eigene Kosten durch die Firma Gebrüder Ulrich in Laucha umgießen ließ. Die große Glocke stammte aus dem Jahre 1460, die mittlere war 1728 von F. R. Körner in Sorau gegossen, die kleine trug die Jahreszahl 1584; die neue große Glocke ist mit folgender Aufschrift versehen: Dieses Geläute von drei Glocken wurde unter Anrechnung der drei alten Glocken auf Kosten des Herrn Gutsbesitzers und Amtsvorstehers Louis Lehmann und seiner Frau Gemahlin Julie geb. Schneller hierselbst, aus Anlaß ihrer silbernen Hochzeit am 10. Mai 1881 gestiftet. - Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!

Die mittlere Glocke trägt die Inschrift: Lobe den Herrn meine Seele, und die kleine: Gott segne und beschütze die Kirchengemeinde Laubnitz. - Die große Glocke wiegt ohne Angel 700 kg, die mittlere 350 kg, die kleine 200kg. Sie enthalten die Töne f, a, c. Der damals errichtete hölzerne Glockenstuhl wurde 1911durch einen eisernen ersetzt und zugleich eine bequemere Läutevorrichtung angebracht."

Man bemerkt, dass damals die Pietät vor ehrwürdigen alten Kirchenglocken nicht besonders entwickelt war. Das Umgießen der mehrere Jahrhunderte alten Laubnitzer Kirchenglocken hatte im Nachhinein die Folge, dass im Ersten Weltkrieg kaum mit besonderer Rücksicht gerechnet werden konnte, als im Deutschen Reich das Glockenmaterial für kriegswichtige Zwecke beschlagnahmt wurde. So kam es, dass 1917 Laubnitz zwei seiner drei 1881 gegossenen Glocken verlor. Sie wurden 1919 durch eine Stiftung des Gutsbesitzers Hermann Benzler ersetzt, aus Dankbarkeit für die wohlbehaltene Rückkehr seiner zwei Söhne aus dem Krieg. .......

Anfang 1942 im Zweiten Weltkrieg wiederholte sich das Geschehen des Jahres 1917. Man kann wohl davon ausgehen, dass auch diesmal die beiden größeren Laubnitzer Glocken eingeschmolzen wurden. Die Fotos zeigen den Abtransport der Laubnitzer Glocken im eisigen Winter. Zu sehen ist die Diakonissin Marta Willems. 

In welch größerem Rahmen die Kirchenglocken in Deutschland zweimal innerhalb von 25 Jahren beschlagnahmt wurden, ergibt sich aus dem Folgenden. Im Ersten Weltkrieg (1917) begann man mit der legalen Erfassung sämtlicher Bronzeglocken. Dabei wurde nach drei Gruppen geordnet:

Gruppe A: Diese Gruppe war für solche Glocken vorgesehen, die keinen besonderen wissenschaftlichen, geschichtlichen oder künstlerischen Wert besaßen und sofort an die Kriegsrüstung abzuliefern waren. Es handelte sich um Glocken, die nach 1860 gegossen worden. Gruppen B und C: Diese Glocken waren vor 1860 gegossen worden und wurden zunächst zurückgestellt. Sie besaßen einen besonderen wissenschaftlichen, geschichtlichen oder künstlerischen Wert, wobei Glocken der Gruppe C auf jeden Fall erhalten werden sollten.

Die Glocken der Kategorie A wurden im Frühjahr 1917 enteignet und zu Kriegszwecken eingeschmolzen. Etwa 65.000 Glocken sind im 1. Weltkrieg eingeschmolzen worden. Das erbrachte ein Gesamtgewicht von ca. 21.000 Tonnen Glockenbronze. Nur etwa 250 der bereits abgelieferten Glocken blieben erhalten und konnten nach dem Krieg ihren Heimatgemeinden zurückerstattet werden.

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden die Glocken wieder in verschiedene Kategorien eingeteilt.  In der „Vorläufigen Richtlinie über die Erfassung der Bronzeglocken“ wurden diese in die 4 Klassen A, B, C, und D gruppiert, wobei die meisten Glocken in die Gruppe A zu gruppieren waren um sofort zur Einschmelzung gebracht werden zu können. Die Landesämter für Denkmalpflege erhielten aufgrund einer Verordnung vom 15. März 1940 „Zur Durchführung des Vierjahresplanes über die Erfassung von Nichteisenmetallen“ in Verbindung mit den „Richtlinien für die geschichtliche und künstlerische Bewertung der Glocken“ den Auftrag, die Kirchenglocken des gesamten Reichsgebietes - insgesamt 75 000 Stück, zu inventarisieren.
Die Grenzen der Gruppe B und C setzte man von ursprünglich 1860 auf das Jahr 1800 herab. Des weiteren wurden zahlreiche Glocken aus dem 16. und 18. Jahrhundert sowie einige Glocken aus dem Mittelalter in die Gruppe A übertragen. 

Historische Glocken von der Qualität der Gruppe D waren nur noch sehr wenige vorhanden, über deren Schicksal sich Reichsmarschall Göring persönlich die Entscheidung vorbehalten hatte. Nach dem 12. November 1941 sollte entsprechend den Anordnungen über die Ablieferung von Nichteisenmetallen die Abnahme der Bronzeglocken erfolgen. Mit dem Kriegseintritt Amerikas im Dezember 1941 wurden erste Maßnahmen für die Sicherstellung kriegswichtiger Rohstoffe im Inneren des Deutschen Reiches angeordnet.

Anfang 1942 erhielten die Kirchengemeinden die „Ankündigung der Glockenabnahme“: „Durch Anordnung des Beauftragten für den Vierjahresplan vom 15. 3. 1940 sind alle Bronzeglocken beschlagnahmt. Mit dem Ausbau Ihrer Glocken ist die unerzeichnete Kreishandwerkerschaft beauftragt worden. Sofern Sie für Ihre Bronzeglocken keine Freistellungsbescheinigung vorlegen können, wird der beauftragte Bau-Betrieb ...... sich mit Ihnen bis zum ...  wegen der Abnahme in Verbindung setzen. Die Kosten für die Abnahme und erforderlich werdende Ergänzungsarbeiten übernimmt die Reichsstelle für Metalle.“ 

Den meisten Gemeinden ließ man nur die kleine "Betglocke". Die B- und C- Glocken wurden im wesentlichen in die Glockenlager Hamburg und Lünen bei Dortmund gebracht. Jede einzelne Glocke erhielt eine dreiteilige Kenn- und Leitzahl. Da die Gruppe A die gefährdetste war, gab es für diese Glocken kaum Rettung. Ende 1942 sollten alle Glocken der Gruppen A und B in den Verhüttungswerkstätten eingeschmolzen sein. Im Januar 1943 dann die Glocken der Gruppe C. Zur Einschmelzung der Glocken der Klassen B und C kam es nicht mehr, da 1943 das Schmelzwerk in Hamburg-Wilhelmsburg bereits durch die Bombardierung der Engländer zerstört war. 

Bevor sie den Weg in die Schmelzöfen antreten sollten, standen die älteren Glocken zum Teil  zwei Jahre lang auf regionalen Lagerplätzen, denn zuerst wurden grundsätzlich nur die jüngeren Glocken eingeschmolzen. Erst im Februar 1944 wurden sie zum Einschmelzen nach Hamburg abtransportiert, wo Tausende von Glocken auf ihr Ende im Schmelzofen warteten. 

Aus den deutschen Gemeinden wurden im Zweiten Weltkrieg etwa 60.000 Kirchenglocken zu den Schmelzöfen der Wilhelmsburger Zinnwerke und der Norddeutschen Affinerie in Hamburg transportiert, und aus den von deutschen Truppen besetzten Ländern  weitere 33.000. Von den Glocken deutscher Kirchengemeinden wurden knapp 44.000  eingeschmolzen. Bei Kriegsende waren noch 2.000 ausländische und 16.000 deutsche Glocken in Hamburg-Wilhelmsburg gelagert. Weitere Glocken wurden bei der Zerstörung vieler Städte Europas vernichtet. Schwierig war zunächst die Suche nach bestimmten Glocken bei dieser großen Anzahl, zumal die Glocken vierfach übereinander geschichtet waren. Der Rücktransport vieler westdeutscher Glocken wurde von der englischen Militärregierung zunächst nicht genehmigt. 

Alter Glockenspruch:

VIVOS VOCO,

Lebende rufe ich,

MORTUOS PLANGO,

Tote beweine ich,

FULGURA FRANGO.

Blitze breche ich.