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Louis
Lehmann Laubnitz
Ein
Mann von echtem Schrot und Korn
Die
wichtigste und einflussreichste Persönlichkeit in Laubnitz
war lange Zeit der Amtsvorsteher Ernst Louis Lehmann.
Lehmann wurde am 29. September 1831 in Laubnitz geboren und
übernahm 1859 die väterliche Schölzerei und damit auch
das Amt eines Dorfrichters oder Gemeindevorstehers. 1874,
nach Einführung der Selbstverwaltung, wurde Louis Lehmann
Amtsvorsteher. Dies Amt verwaltete er bis zu seinem
Tod.
Die
Lehnschölzerei in Laubnitz befand sich seit dem Dreißigjährigen
Krieg in der Familie der Vorfahren von Louis Lehmann.
Nachdem dieser sich von der praktischen Landwirtschaft zurückgezogen
hatte, wurde die Schölzerei im Jahre 1899 von seinem
Schwiegersohn Hermann Benzler käuflich erworben, der
bereits 1889 von der Witwe des Gutsbesitzers Wünsche das
Lehngut in Laubnitz gekauft hatte. Lehmann wohnte danach in
einem neu erbauten und für die damalige Zeit recht
komfortablen Ausgedinge, in dem ihm drei Weiblichkeiten und
der Kutscher Robert für Pferde- und Schweinestall zur Hand
gingen. Zum Ausgedingehaus mit
Nebengebäude gehörte ein riesiger Obstgarten mit vielen
edlen Apfel- und Birnensorten.
Lehmanns
Kinder waren schon frühzeitig „an der Bräune“
verstorben, und auch seine Ehefrau Julie geb. Schneller hat
er bei weitem überlebt. Nach dem frühen Tod ihrer
leiblichen Kinder nahmen Louis Lehmann und seine Ehefrau
ihre Nichte Anna Lehmann, geb. 26. Januar 1869, als
Kleinkind in Pflege
bei sich auf, deren Mutter am 15. April 1869 durch Blitzschlag auf
einer Bruchwiese während
der Arbeit umgekommen war. Julie Schneller stammte aus der
Gegend von Naumburg am Bober.
Lehmann war ein charaktervoller Mann von echtem Schrot und
Korn, dem arbeiten eine Lust war, beschenkt mit reichen
Gaben, von großem Fleiß und starker Willenskraft. Mit
Recht konnte ihm die Gemeinde über das Grab hinaus nachrufen, dass er – bei aller Strenge - für sie gesorgt
habe, wie ein Vater für seine Kinder. In mancherlei Ehrenämtern
des Kreises, des Kommunal- und Provinziallandtages sowie der
Landwirtschaftskammer hat er auch über die Gemeinde hinaus
eine segensreiche Tätigkeit entfaltet und wurde wegen
seiner reichen Erfahrung, seiner gründlichen Kenntnis von
Personen und Verhältnissen, sowie wegen seines praktischen
Blickes und seiner Energie allgemein geschätzt. Selbst bei
Eheschließungen unter den Bauern hatte sein Wort Gewicht.
In
seiner Fürsorge für seine Gemeinde schoss er zwar manchmal
über das Ziel hinaus. Um sie in ihrer Abgeschlossenheit zu
erhalten und vor verderblichen Einflüssen zu schützen,
setzte er durch, dass der Laubnitzer Bahnhof beim Bau der
Sorau-Grünberger Bahnstrecke (1896) nicht wie es wünschenswert
gewesen wäre, in der Mitte des Dorfes, sondern am äußersten
Ende gebaut wurde. Auch wurde erzählt, dass er einem
Radfahrer, der das Dorf durchfuhr, seinen Stock zwischen die
Speichen stieß, so dass er zu Fall kam. In diesem neuen
Verkehrsmittel sah er eine Gefahr für die Jugend. In dem
regelmäßigen Besuch des Gottesdienstes war er vorbildlich,
verlangte dasselbe auch von den Gästen seines Hauses, z. B.
von den Offizieren, die beim Manöver bei ihm einquartiert
waren. Zeitweise nahm er nicht an den Laubnitzer
Gottesdiensten teil, sondern suchte in benachbarten Kirchen
Erbauung aus Ärger über den Pastor. Dieser hatte bei
seiner Wahl keinen Bart getragen, ihn sich dann aber wachsen
lassen, was Lehmann für unschicklich hielt. Erst nach einem
Jahr kam es zur Aussöhnung.
Im
übrigen war Lehmann ein geborener Volksredner. Wenn der
Kriegerverein die Fahne bei ihm abholte, versäumte er nie,
in ernsten Worten zu ermahnen, das Fest in gesitteten Formen
zu begehen. Dass ihm in öffentlichen Reden und privaten
Gesprächen beim Gebrauch von Fremdwörtern Pannen
unterliefen, sah man ihm gerne nach. Als Alterspräsident
des Provinzial-Landtages hatte er dem Neugewählten Präsidenten,
der einem guten Tropfen nicht abhold war, das Präsidium mit
den Worten übergeben: „Meine Herren, ich habe die Ehre,
den Grafen X zum Vorsitzenden zu pokulieren.“ Bei dem
Stapellauf des Kriegsschiffes ‚Brandenburg’, wo alle
anderen Schiffe „Salat“ schossen, hielt er sich immer in
der Nähe des Kaisers Wilhelm II, der die Besichtigung
leitete. Im Maschinenraum angekommen, fragte ihn der Kaiser:
„Was würden Sie tun, wenn jetzt eine Explosion erfolgen
sollte?“ Darauf die schlagfertige Antwort: „Wo Majestät
hinfliegen, fliege ich auch hin!“ Den Mantel, den ihn der
Kaiser aufgehoben hatte, zog er nie wieder an. Man sagt, er
habe ihn danach dem Sorauer Heimatmuseum übereignet. Diese
persönliche Begegnung mit Kaiser Wilhelm brachte Lehmann
die halb respektvolle, halb spöttische Bezeichnung
‚Kaiser-Lehmann’ ein.
Nett
ist auch folgende Geschichte: Er hatte in Berlin bei
Aschinger gegessen. Dass auf jedem Tisch eine Schale mit Brötchen
zu beliebiger Bedienung stand, missbilligte er. Von vielen Gästen
angefasst, setzten sich doch die ‚Zibellen’ daran und
‚inspirierten’ die Leute. Bekannt war Lehmann auch für
seine fröhlich und festlich gefeierten Geburtstage, zu
denen das Geschirr aus der 7 km von Laubnitz entfernten
Kreisstadt Sorau herangeschafft werden musste.
Aus
seiner Zeit als aktiver Landwirt wird berichtet, dass
Lehmann in edlem Wettstreit mit seinem späteren
Schwiegersohn Hermann Benzler gestanden habe. Letzterer
hatte in Halle Landwirtschaft studiert und wirtschaftete zunächst
als Angestellter und schließlich als selbständiger
Gutsbesitzer nach den neuesten Erkenntnissen und Methoden,
war also dem eingesessenen Schölzereibesitzer Lehmann immer
um mehrere Nasenlängen voraus. Lehmann versuchte dies etwa
durch vor seinem Konkurrenten verheimlichte abendliche
Extra-Düngergaben für seine Felder oder frühmorgendliche
Schnitter-Trupps zu kompensieren. Es geht auch die Sage, er
habe manchmal an der Kirchturmuhr gedreht, um die
Mittagspause seiner Leute zu verkürzen oder den Feierabend
hinauszuzögern.
Insgesamt
aber muss er seinen Betrieb gut geleitet haben. Das geht
auch aus der Tatsache hervor, dass er regelmäßig
landwirtschaftliche Eleven auf seinem Betrieb ausbildete.
Einer von diesen hatte seine Pflegetochter Anna ins Herz
geschlossen und die Gewohnheit, diese herzlich zu begrüßen,
wenn er zu Tisch in die Küche kam. Er hob dann die Kleine
hoch und drehte sich mit ihr so schnell im Kreis, bis sie
beide hinfielen. Die kleine Anna flog mit Schwung in
Richtung Küchenherd und der Verschluss des Ofentürchens
spießte sich durch ihre Nase. Noch als alte Frau konnte
Anna die entsprechende Narbe vorweise. Ein anderer etwas
roherer Eleve hatte Anna weisgemacht, sie könne die Engel
im Himmel singen hören, wenn sie im eisigen Winter eine
eiserne Türklinke mit der Zunge berühren würde. Die Probe
aufs Exempel war sehr schmerzhaft!
Louis
Lehmann hatte zwei Schwestern und drei Brüder, von denen
der Älteste mit Namen August laut Heiratsvertrag seiner
Eltern Gottlieb Lehmann (Gerichtsschulze in Laubnitz) und
seiner Ehefrau Ernestine geb. Märkisch aus dem benachbarten
Goldbach dazu bestimmt war, in letzterem Dorf
Gemeindevorsteher zu werden, was auch eintrat. Der Zweitälteste,
Theodor Julius, Annas Vater, lebte als Ackerbürger und
Kaufmann in Sommerfeld, wohin er wohl wegen Reibereien mit
seiner Laubnitzer Familie verzogen war. Er war verheiratet
mit Johanna Auguste Christianus, die am 25. November 1827 in
Belkau als Tochter des dortigen Müllers geboren war und
1869 kurz nach der Geburt ihrer Tochter Anna vom Blitz
erschlagen wurde. Für Johanna Auguste Christianus war dies
die zweite Ehe. Nach ihrem Tod verehelichte sich Theodor
Julius Lehmann ein zweites und sogar noch ein drittes Mal,
und aus allen diesen Ehen existierten Kinder.
Der dritte
Bruder, Gotthold, übernahm die Bauernwirtschaft in Laubnitz
neben der Schule, deren spätere Besitzer nach ihm
‚Gottholds-Bauer’ genannt wurden. Von den beiden
Schwestern war eine in Sorau verheiratet (die
‚Hofschmiedin’) und die andere in Eckartsdorf. Die
Mutter von Louis Lehmann, Ernestine, war früh verwitwet und
wohnte nach dem Tode ihres Ehemanns Gottlieb in einem
kleinen Ausgedinge-Häuschen zwischen der Schölzerei und
der Kirche. Man sagt, sie sei nicht besonders einnehmend
gewesen und habe ihr Nachtgeschirr auf dem angrenzenden Zaun
gelüftet. Sie starb 1891 im Jahr der Eheschließung ihrer
Enkeltochter Anna mit dem Lehngutsbesitzer Hermann Benzler
in Laubnitz.
Louis
Lehmann war Ritter des Roten Adlerordens IV. und des
Kronenordens III. Klasse. Er gehörte dem Kreistag an und
war Mitglied des Kreisausschusses seit 1874. In
Lehmanns Alter mehrten sich die Jubiläen im Beruf und in
Ehrenämtern. Das veranlasste ihn stets zu hochherzigen
Spenden. Einmal schenkte er der Kirche bunte Fenster, ein
andermal ein neues Geläut. Zu dem letzten Geschenk kam es
zum Glück nicht. Eines Tages hatte sich ein Landfremder im
Walde erhängt. Als Amtsvorsteher musste er seinen
Wagenschuppen für das Sezieren des Leichnams zur Verfügung
stellen. Aus diesem unliebsamen Ereignis erwuchs sein
Entschluss, der Gemeinde eine Leichenhalle mit Sezierraum
und allen nötigen Geräten zu stiften. Er hatte sich für
ein Gebäude entschieden, dass wie ein Schandfleck auf
unserem Kirchengelände gewirkt hätte. Als ihm ein vom
Provinzialkonservator eingeholter Alternativ-Entwurf
vorgelegt wurde, brachte ihn das so auf, dass er den
damaligen Pastor Kurt Wilke einen Nagel zu seinem Sarge
nannte und seine Schenkung schroff zurücknahm. Widerspruch
konnte er nämlich nur schwer ertragen.
Ebenso
erging es dem Gemeindekirchenrat mit dem Plan, eine
Krankenpflegestation einzurichten. Das lehnte er mit den
Worten ab: „Die Leute sollten selbst ihre Kranken
pflegen.“ Nun kam der Gemeinde zustatten, dass seine
beiden Hausangestellten an Grippe und Lungenentzündung
erkrankten, so ernst, dass er ihren Angehörigen schon
Vorschläge für ihre Beerdigung machte. Es gelang, eine
Schwester aus Sorau zu gewinnen, unter deren Pflege die
Todeskandidaten gesund wurden. Da war er der erste, der eine
Spende zur Einrichtung der Station zeichnete. Für die
Wohnung der Schwesternstation stellte Hermann Benzler zwei Räume
der Schölzerei zur Verfügung. Das Lazarus-Diakonissenhaus
in Berlin sandte Schwester Anna Witzmann, die während
langer Jahre ihren Dienst zum Segen der Gemeinde tat. Später
bis 1945 versorgte die Diakonisse Schwester Martha Wilhelm
aus Westpreußen die Krankenstation, die nach 1945 im
Lazarus-Haus in Berlin tätig war und dort auch verstarb.
Der
neben der Schölzerei liegende Kirchhof wurde 1862 vergrößert,
indem der damalige ‚Dorfrichter’ Lehmann einen halben
Morgen seines Weinberges für 150 Thaler abtrat. 1884
erhielt die Gemeinde vom nunmehrigen ‚Amtsvorsteher’
Lehmann als wertvolles Geschenk das schon weiter oben erwähnte
Geläut, wobei die drei alten Glocken durch die Firma Gebrüder
Ulrich in Laucha umgegossen wurden. Die große Glocke
stammte aus dem Jahre 1460, die mittlere war 1728 von F. R.
Körner in Sorau gegossen, die kleine trug die Jahreszahl
1584. Im neuen Dreiglocken-Geläut erhielt die große Glocke
folgende Aufschrift: „Dieses neue Geläute von drei
Glocken wurde unter Anrechnung der drei alten Glocken auf
Kosten des Herrn Gutsbesitzers und Amtsvorstehers Louis
Lehmann und seiner Frau Gemahlin Julie geb. Schneller
hierselbst, aus Anlaß ihrer silbernen Hochzeit am 10. Mai
1881 gestiftet. – Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede
auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!“ Die mittlere
Glocke trug die Inschrift: „Lobe den Herrn meine Seele“,
und die kleine: „Gott segne und beschütze die
Kirchengemeinde Laubnitz.“ – Die große Glocke wog ohne
Angel 700 kg, die mittlere 350 kg, die kleine 200 kg. Sie
enthielten die Töne f, a, c. Der damals neuerrichtete hölzerne
Glockenstuhl wurde 1911 durch einen eisernen ersetzt, wobei
zugleich eine bequemere Läutevorrichtung angebracht wurde. 1891
wurde eine neue Orgel beschafft, welche die Firma Sauer in
Frankfurt a.O. für ca. 5 000 Mark lieferte. Amtsvorsteher
Lehmann schenkte zu den 14 Stimmen noch weitere vier,
wodurch die Orgel eine sehr schätzenswerte Bereicherung in
den Tonfarben erfuhr. 1896 stiftete Louis Lehmann je zwei
bunte Fenster für die Kirche.
Louis
Lehmann ereilte im 81. Lebensjahr am 8. Mai 1912 ein plötzlicher Tod. Man ehrte ihn
durch eine Aufbahrung in der Kirche, was sonst nur dem
Pastor zustand. Eine große Trauergemeinde mit Vertretern
vieler Behörden und Organisationen gab ihm das letzte
Geleit. Landrat von Bredow würdigte die Arbeit des
Verstorbenen in einem Nachruf, worin es u. a. heißt:
"Durch
das Vertrauen der Kreiseingesessenen in die höchsten
Ehrenämter der Kreisverwaltung berufen, hat der
Entschlafene durch seine unermüdliche Tatkraft, seinen
eisernen Fleiß und die kluge Beobachtung aller
Verhältnisse sich außerordentliche Verdienste um seinen
Heimatkreis erworben. Bis zuletzt auf allen Gebieten der
Selbstverwaltung tätig, blieb seine starke Natur ungebeugt
durch das Alter, seine Lebensfrische unerschöpflich.
Allseitig hochgeehrt und geachtet, wirkte der Entschlafene
unter uns in sicherer Bereitschaft mit warmem Herzen und
offener Hand für alle Not."
Seine Gemeinden
Laubnitz und Hermsdorf aber empfanden wohl das gleiche wie
Matthias Claudius, der nach dem Begräbnis seines Vaters
sagte: „Ach, sie haben einen guten Mann begraben, und mir
war er mehr.“
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